Der erste Tag der nächsten Woche #1


Endlich Freitag Abend. Dieser Teil der Woche war nur noch vom Samstag morgen zu überbieten, wenn die Uhr halb neun zeigte und man sich noch einmal genüsslich umdrehen konnte. Er war auf dem Weg in seine Lieblingskneipe, eine relativ überschaubare Lokalität, in der meist die selben Leute ihre Woche ausklingen ließen. Sein Weg dorthin führte ihn vorbei an leerstehenden Häusern und zu schnell eröffneten Billigsupermärkten. Er sollte um halb neun dort sein, um gepflegt bis halb 12 ein, zwei oder auch drei Biere trinken zu können. Die altehrwürdige Kneipe schloss nämlich relativ bald und hatte Samstags sogar ganz geschlossen. Deshalb durfte man nicht zu spät dort aufschlagen. Sonst geriet man Freitag abends noch in Stress. Der Besitzer machte sich nichts aus großem Gewinn und klimperte schon mal gegen halb zwölf mit seinem Beutel. Den Gästen diente das als Zeichen, ihren Umtrunk in absehbarer Zeit zu beenden. Er bog um die letzte Ecke und war am Ziel. Erwartungsvoll öffnete er die Eingangstür. Sein Freitagabendkollege war schon da. „Seervuus!“ begrüßten sich die beiden.“Schon was bestellt?“. „Ne.“. „Gut! Ich nehm´ a Seidla.“. „Ich a.“. Damit war die Bestellung abgemacht. Ein frisch gezapftes Bier ließ so manche Sorge vergessen.

Das Gespräch drehte sich wie an vielen Abenden zuvor um die neuesten Techniktrends, Autotuning und gelegentlich um vergangene Räusche und was man doch mal wieder alles Alte aufleben lassen sollte. Im Hintergrund dudelte der gewohnte Mix aus 50 % Klassiker und 50 % neuen Hits aus dem Radio. Wie konnten normal denkende Menschen nur immer wieder die selben Lieder hören? Nach dem ersten Bier wurde die Konversation angestrengter, die Themen weltumfassender. Die Zeit strich dahin, der erste musste aufs Klo. Danach wurden die älteren Herren vom Taxi abgeholt, leicht schwankend. Ab und zu piepste ein Handy und eine gierige Hand griff danach. Es war ja jetzt jeder mit jedem virtuell befreundet und musste das auch kundtun. Das zweite Bier schmeckte noch einen Tick besser als das erste und ließ die Gedanken weitschweifiger werden. Nicht umsonst galt es in manch amerikanischer Zeichentrickserie als Lernsaft. Außerdem war es billig hier. Im Vergleich zu vielen anderen Orten, an denen er schon gewesen war. Erst mit solchen Reisen lernte man dies zu schätzen. Seine Preisbetrachtungen wurden jäh unterbrochen, als ein weiterer Freund aus Kindheitstagen zu der geselligen Zweierrunde dazu stieß. Mit seinen gewohnt ausschweifenden Reden, warum und weshalb er es nicht eher geschafft hatte. Nachdem er sich auch ein Bier vom Fass geordert hatte, nahm er die Gesprächsrunde an sich und wollte die neuesten Entwicklungen wissen. Das Gute an ihm war einfach sein überaus ausgeprägtes soziales Interesse, welches ihn auch sein Studium um drei Jahre über die Regelstudienzeit hinaus verlängerte. Trotz allem wird er sicher bald ein angesehener, wenn auch leicht unpünktlicher Manager werden. Der sich endlich den lang ersehnten angemessenen Wagen aus deutscher Premiumproduktion leisten kann. „Wie läuft das Studium?“. „Ach, noch schnell die Masterarbeit bis Ende des Jahres, und dann wird geärbert!“. Stumm nickend stimmte er dieser Aussage zu. Was sollte man auch sonst machen? Irgendwann wurde man einfach mal fertig, manche eher, manche später. Der Abend schritt voran, viele Gäste waren schon gegangen. Ein letztes Bier wurde bestellt. Die Gedanken kreisten um die selben Themen wie seit langem schon: Autos, Mädchen, Arbeit. Der Wirt wurde langsam unruhig, es ging auf halb 12 zu. Gedankenverloren ebbte das Gespräch ab. „Eine Frage habe ich noch: wie läufts mit den Mädels??“. „Dreimal darfst du raten?!“. „Keine in Aussicht. Bei mir ah net. Weiß einfach net woran das liegt. Und wenn ich seh, wer mit wem geht. Da wird’s mir schlecht.“. „Genau!“. Damit war alles gesagt. War ja auch nichts zu ändern. Die Konversation driftete noch mal kurz zu aktuellen Forschungen, wie sich Fische im Wasser vor Fressfreinden schützen. Angeblich konnten sie polarisiertes Licht wahrnehmen, also Licht einer Schwingungsrichtung. Das wurde von dem angehenden Physiker begeistert aufgegriffen und mit leicht vernebelten Verstand ins Lächerliche gezogen. „Bienen können ja auch Ultraviolett sehen! Warum sollten dann Fische nicht Zustände transversaler Wellen unterscheiden und beeinflussen können??“. Wie so oft freitagabends waren die Synapsen einfach durch den Alkohol erweitert und zu Höchstleistungen fähig. Dann wurde es dem Wirt aber doch zu bunt und machte die ersten Lichter um die Dreiergruppe aus. Ein unmissverständliches Zeichen doch endlich zu zahlen. Das Trinkgeld fiel wie immer bei dieser Personenkonstellation von mäßig über Standard bis generös aus. Noch schnell die Jacken angezogen und schon fiel die Tür hinter Ihnen ins Schloss. Ein kurzer Handschlag mit einem breiten „Seervuus! Schee wors, bis zum nächsten Mal!“ und die Gruppe dezimierte sich auf ein Tête à Tête. Der Heimweg von dieser Kneipe aus war eine stumm beschlossene Sache und sie marschierten los.

Kapitel an einem Sonntag Abend entstanden.

zolch

~ von zolch - 6. November 2016.

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